Landschaftszustände, 2020

Emmanuel Henninger ist ein im Elsass ansässiger Künstler, der sich den deutschen Sprachräumen zuwendet. Er hat sein Studium an der Universität Straßburg in Bildender Kunst und an der Universität des Haute- Alsace in Sozial- und Solidarökonomie abgeschlossen und hat eine Zeichenpraxis entwickelt, die Teil einer tiefen und persönlichen Beziehung zu den Räumen der Natur ist, die er regelmäßig durchquert und die er zum Leben braucht. Als Mensch, der sich dem Lebenden bewusst ist, repräsentiert er dessen Vielfalt nach einem doppelten Ansatz, der von der romantischen Vision der erhaltenen Landschaft zur kritischen Vision der Landschaft, die durch menschliches Handeln praktiziert oder verändert wird oszilliert.

Geprägt von seiner Beziehung zu anderen und seiner Beziehung zur physisch erprobten Umwelt, hat Emmanuel Henningers künstlerische und ökologische Subjektivität ihn seit 2017 dazu veranlasst, natürliche Umgebungen zu erforschen, um die Wahrnehmung von Räumen, denen man in den Bergen oder Wäldern, insbesondere in den elsässischen Vogesen oder in den deutschen Wäldern, begegnet, visuell neu zu erfassen und durch seine atelierhafte zeichnerische Arbeit die “Zustände der Landschaft” durch drei ästhetische Bewegungen zu bewahren : durch eine immersive Annäherung, die der Dichte der Vegetation so nahe wie möglich kommt, durch einen interpretativen und fiktionalen Zugang zu Darstellungen von Landschaftsschauplätzen und durch einen dokumentarischen und objektiven Zugang zu Landschaften, die absichtlich vom Menschen verändert und durch den Akt des Zeichnens bezeugt werden.

Die zusammengesetzten Darstellungen von Landschaften, die aus dieser Dynamik der Schöpfung in einem Umweltkontext entstehen, laden den Betrachter ein, eine ästhetische Beziehung zu den so suggerierten und manchmal benannten Naturräumen aufrechtzuerhalten. Die Zeichnungen von Felsen und Wiesen der elsässischen Vogesen oder die Bilder, die aus einer in die Primärwälder des Elsass und Deutschlands eingedrungenen Vision entstanden sind, können somit als “ Porträts natürlicher Fragmente ” betrachtet werden, die manchmal dazu einladen, die Zustände des unberühreten Lebens mit Einfühlungsvermögen anzuschauen, manchmal über die Verbundenheit nachzudenken, die wir als Zeitgenossen gegenüber Zuständen von Landschaften kennen können, die nicht oder wenig anthropisiert sind, isoliert wie Figuren, die ebenso belebt sind wie sie uns beleben. Gleichzeitig tragen diese Zeichnungen, die nicht reine realistische Landschaftsausführungen sind, zur Konstruktion eines Imaginären bei : manchmal autonom, manchmal nach einem modularen Assoziationssystem zusammengesetzt, erinnern uns diese Darstellungen daran, dass die Erfahrung der Natur im Auge, in der Erinnerung und in der Wiederholung des Kontakts, der mit den Formen des empfindlichen Lebens gemacht wird, immer wieder neu formuliert wird.

In jüngerer Zeit hat Emmanuel Henningers Interesse an der Problematik der Subsistenz alter Ökosysteme und ihrer Veränderung unter dem Einfluss von Aktivitäten zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen dazu geführt, dass während seiner jüngsten Reise nach Deutschland ein Hauptwerk aus seinem künstlerischen Schaffen hervorgegangen ist: Der Zeichensatz “ Open-Pit Mine” öffnet einen visuellen Bruch in der verwundeten und vernarbten Landschaft des Tagebaus Hambach, der durch die Ausbeutung eines Braunkohlevorkommens im industriellen Maßstab geschädigt wird, das für die Zerstörung des gleichnamigen Waldes verantwortlich ist und eine wichtige Quelle für Treibhausgasemissionen im europäischen Maßstab darstellt. Mit diesem präzisen und prägnanten Werk leitet Emmanuel Henninger eine einzigartige und engagierte künstlerische Praxis ein, die an der ökosphärischen Revolution der Sprachen der zeitgenössischen Kunst teilnimmt und dabei die Aufmerksamkeit der regionalen und grenzüberschreitenden Kunstszene verdient

Mickaël Roy, Kunstkritiker, Mai 2020